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Am heutigen Tag

Der Sonnenwecker unterbricht die Nachtruhe und kündigt die Wahnsinnshetze zur Arbeit an. Ich trinke im Stehen den Kaffee, den mir in 6 Sekunden der zurzeit schnellste Getränkemacher Heiß H106 vorbereitet. Ich habe ihn im Frühjahr auf der Weltausstellung in Prag gekauft. In der katalogmäßig dicken Morgenzeitung erblicke ich die Ansage, dass im nächsten Monat schon das verbesserte Modell X103 zur Verfügung stehen wird, das verschiedene Getränke schon in 3 Sekunden vorbereiten wird. Und wie gut, dass schon eine Bestellkarte für die Vorbestellung beigelegt ist, dabei trage ich das jetzige Gerät sowieso fast jede Woche in die Werkstatt in der Stadt. Offensichtlich hat es einen unbehebbaren Systemfehler.

Die Uhr sagt mir, dass heute der Brötchenzusteller Halo Brot Verspätung haben wird. Dennoch höre ich die synthetisch gespielte Melodie, die endlich sein Eintreffen ankündigt. Er ist ein halbe Minute zu spät, deshalb brülle ich ihn an und drohe ihm im gleichen Atemzug, dass ich den Lieferanten wechseln und dafür sorgen werde, dass er noch heute auf die Straße gesetzt wird. Seine Ausreden über den Stoßverkehr auf der sechsspurigen Pferdeeinfallstraße interessieren mich nicht die Bohne. Wegen der Verspätung sind die Brötchen kalt geworden und kalte Brötchen esse ich nicht, deshalb schmeiße ich sie in den Mülleimer. Ich verfehle den für Brötchen bestimmten Mülleimer, deshalb landen sie im Mülleimer für altes Brot. Die Ökogendarmen verhängten mir das letzte Mal 50 Kronen Strafe, da ich die Bananenschalen nicht in die Mülltonne für exotisches Obst geworfen habe.

Der Blick in die Umkleidegemächer macht mich irre, jedesmal, wenn ich unter den unzähligen Hemdarten, einigen hundert Fliegen und Hüten wählen soll. Zum Glück werden schon zum Sommerende alle Kleidungsstücke aus der Mode sein und zu diesem Zweck habe ich mir schon für Anfang August drei Urlaubstage reserviert, damit ich mir in den zwei Nächten, die ich wartend in der Reihe verbringen werde, die bestmögliche Startposition im Kampf um wenigstens einige neue Kleidungsstücke beim Monatsausverkauf sichern kann. Schon jetzt graut mir beim Gedanken an alle aus der Mode kommenden Kleidungsstücke, die in den Sachränken bleiben werden. Vieleicht zeigt man bei Sauber Interesse, den die Einrichtung des heiligen Strauss nimmt Textil aus vergangenen Saisonen nicht mehr an. In der heutigen Beilage der Morgenzeitung ist schon die Bekleidung vorgestellt, die in 3 Jahren in Mode kommt. Wohin mit allen diesen Kleidungsstücken?

Im Hof wartet auf mich eine gewaschen rote Sportkutsche, hergestellt im Konzern Meier AG und gestriegelte schwarze portugiesische Pferde. Eingebaut ist die gesamte bekannte Technik und sie ist wirklich was Besonderes. In den Menschen regt sie Bewunderung wie auch Neid an. Mein Kutscher setzt sie in Galopp und beschleunigt, denn bis zum Arbeitsplatz, nur einige Straßen entfernt, dauert die Fahrt mindestens eine Stunde. Diese Zeit nutze ich, um den Arbeitsplan und die Ziele für den heutigen Tag festzulegen. Die Kolone der Pferdegespanne bewegt sich anfangs im Schneckentempo, plötzlich jedoch geht nichts mehr voran und wir bleiben im Pferdestau stecken. Ich sehe nach, was los ist. Die Kutscher schreien, schimpfen, mit einem Wort, der totale Chaos. Bald darauf höre ich Sirenen, vorbei rast die Gendarmeriekutsche, unmittelbar dahinter der Wagen mit den Medizinern und hoch zu Ross folgt ihnen der Untersuchungsrichter. Ich erfahre, dass es eine Massenkarambolage von fünf Kutschen gegeben hat, da einige Pferde den Sicherheitsabstand nicht eingehalten haben. Endlich entfernt der Pferdekundendienst die Folgen des Pferdeunfalls und die Fahrt kann weiter gehen.

Auf der Arbeit stelle ich zuerst den Abteilungsleiter zur Rede, warum der Monatsplan nur um zweimal den Plan überstiegen hat. Später lade ich unseren Netzbeschleuniger zum Arbeitsessen ein. Mit der Dienstkutsche fahren wir ins Fahrtin und nehmen schnell gekochte Kartoffeln mit Schmelzkäse zu sich. Wir sprechen über die unmögliche Frist für die Fertigstellung unserer neuen Filiale. Er versichert mir, dass noch zusätzliche Bauarbeiter aus den südlicheren Provinzen der Monarchie hinzugezogen und einige hundert Arbeitspferde angeschafft wurden und Tag und Nacht gearbeitet wird.

Spät am Nachmittag wieder Gedränge auf allen mehrspurigen Fahrwegen. Alle kommen aus allen Richtungen des Stadtzentrums uns lassen stinkende Pferdäpfel hinter sich, in denen die Stadt versinkt. Der Kutscher überlegt laut, ob er bis zum Tante Emma Laden Einkaufspalast die südliche Umgehungsstraße oder den Innenring nehmen soll. Nebenher biegen wir noch ins Hafertank ein, wo mehr als 30 hochenergetische Speisepunkte für Pferde zur Verfügung stehen. Einige bieten auch besondere Zusatzstoffe an, die die Pferdeemissionen vermindern.

Am Weg beobachte ich zahlreiche Schildermaler und andere Künstler, die zeichnen oder die gerade fertiggestellten riesigen Bilder ändern, auf welchen die neuen, besseren Erzeugnisse dargestellt sind. Sogar auf dem Kirchenturm wird ein neues Bild stehen. Es wird mir fast schlecht, als ich die Bekanntmachung erblicke, die erzählt, dass noch in diesem Jahr die neue, verlängerte Version der Kutsche Langwan auf den Markt kommt. Und ich habe gerade diese gekauft.

Abends wartet meine liebe Rosemarie vor dem Eingang ins Theatroseum, dem Theater mit 18 Sälen und Vorstellungen für jeden Geschmack. Als wir nach qualvollem Gedränge endlich die Karten kaufen, stellen wir uns noch in die Reihe für geröstete Haselnüsse und Apfelmost. Der diesjährige Kracher sind dünne Röhrchen, durch die man das Getränk trinkt, das mit geschlagenem Eis gekühlt ist, das jeden Morgen mit der Eilpostkutsche vom fernen Gletscher gebracht wird.

Und endlich wieder daheim. Jemand klopft an die Tür. Vielleicht der Nachbar Özgün? Ich mache auf, es ist nicht der Nachbar, sondern jemand, der mich überzeugen will, dass ich auf jeden Fall das neue Haargel brauche. Siehst du nicht, dass ich eine Glatze habe, doch er bietet mir schon eine neues Fläschchen mit Vitaminhaar an. Kaum ist er weg, schreit und verkündet jemand auf der Straße, dass morgen in der Nachbarschaft ein neuer Megamarkt eröffnet wird.

Es ist Mitternacht. Ich liege auf der gerade ausgewechselten Matratze und denke über den verbrachten Tag nach. Wie nur wird dieser in 100 Jahren aussehen?

Den Tag (über)lebte Robi Mihelčič